Der Boss thront im gepolsterten Chefsessel über seinen Angestellten – autoritär, wenig beliebt und von oben herab. Dieses Bild von Führung hat sich in unsere Köpfe gebrannt. Doch es hat ausgedient: Digitalisierung, projektbezogene Arbeit und Kooperation prägen das Arbeitsleben von heute. Deshalb besitze ich erst gar keinen Chefsessel – und auch kein eigenes Büro. Als Digital Nomad und Agenturchef ist die Welt mein Büro und mein Laptop mein engster Begleiter auf Reisen. Wie ich aus der Ferne führe und Verantwortung für über 25 Mitarbeiter in einem Remote-Team übernehme, erfahrt ihr in diesem persönlichen Erfahrungsbericht.
Ich war schon immer Technologie-Fan. Bereits mit 14 habe ich meine ersten Websites für Kunden gebaut. Das Web war zwar noch klein, aber schnell bemerkte ich das riesige Potenzial, was hier schlummerte. Nach dem Abitur habe ich meine Koffer gepackt und bin für ein 9-monatiges Work & Travel nach Australien. Die komplette Reise habe ich über Webdesign-Aufträge finanziert.
2008 war ich einer der ganz frühen Digitalen Nomaden – noch bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Aus heutiger Sicht ein unglaublich großer Aufwand: Ich hatte einen riesigen, bleischweren Laptop im Gepäck, das Smartphone war eine Randerscheinung und WLAN häufig Mangelware. Trotzdem hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Ich kann von überall aus arbeiten und es macht riesigen Spaß.
Nach meinem Studium an der Maastricht University in den Niederlanden und der UC Berkeley in Kalifornien und einigen treuen Kunden im Gepäck habe ich 2012 die Digitalagentur Friendventure gegründet. Hier habe ich zum ersten Mal Mitarbeiterverantwortung übernommen. Für mich war klar, dass ich einerseits Unternehmer sein, aber gleichzeitig flexibel bleiben wollte. Auch während meines Studiums bin ich viel gereist und habe mich immer wieder an verschiedenen Orten inspirieren lassen. Diese Flexibilität wollte ich unbedingt beibehalten. Digital Nomad und Agenturchef, Reisen und Mitarbeiterverantwortung, passt das zusammen?
Remote Leadership heißt gleiches Recht für alle
Man sagt, die Firma sei Abbild der Unternehmer-Persönlichkeit. Als Weltenbummler ist meine Agentur ebenfalls von großer Freiheit und Eigenverantwortung geprägt. Bei der Gründung war mein Credo: Ich will eine Agentur führen, in der ich als Angestellter selbst gerne arbeiten würde.
Die wichtigste Entscheidung für mich war, alle gleich zu behandeln. Alle Freiheiten, die ich mir nehme, sollten auch für meine Mitarbeiter gelten. Warum soll ich meine Mitarbeiter am Schreibtisch festtackern, wenn ich die Vorteile der Selbstbestimmung am eigenen Leib erfahren habe? In puncto Produktivität aber auch im allgemeinen Wohlbefinden.
Die Ortsunabhängigkeit ist also aus meiner persönlichen Präferenz heraus gewachsen. Ich bin heute quasi Teilzeit-Digitaler-Nomade. Ich reise circa 4 Monate im Jahr und pendle außerdem viel zwischen unseren Büros in Köln und Berlin sowie diversen anderen Terminen. Deshalb bin ich auch passionierter Bahnfahrer und verbringe mehrere hundert Stunden pro Jahr im Zug, wo ich natürlich auch arbeite.
Ich bin fest davon überzeugt, dass das System nur deshalb funktioniert, weil alle die gleichen Rechte haben. Sonst würde es doch heißen: “Schau mal, der Julian, der ist schon wieder unterwegs und wir müssen 9-to-5 im Büro hocken.” Bei solchen Zuständen gehen die Kollegen doch zurecht auf die Barrikaden. So funktionieren Unternehmen heutzutage einfach nicht mehr. Zum Glück!
Die Vorteile von Remote-Work
Wir sind kein interkulturelles Remote-Team, das über den ganzen Globus verteilt ist. Wir haben einen Mitarbeiterstamm um unsere Standorte in Köln und Berlin. Aber auch hier arbeiten viele Mitarbeiter aus dem Homeoffice oder nutzen die Möglichkeit, ihren Arbeitsplatz frei zu wählen – z. B. in Cafés, Coworking-Spaces, im Zug auf Reisen, in anderen Städten oder als Kombination aus Arbeit und Urlaub in anderen Ländern.
Trotz der Möglichkeiten des ortsunabhängigen Arbeitens kommt der Großteil regelmäßig ins Büro, wechselt aber je nach Bedarf flexibel den Standort. Diese Kombination aus Flexibilität am Arbeitsort und einem festen Team und Büro kommt bei meinen Kollegen sowie Bewerbern sehr gut an. Auch für mich als Agenturchef bietet es folgende Vorteile:
Geringere Mitarbeiterfluktuation
Laut einer Stanford-Studie ist die Mitarbeiterfluktuation in Remote-Teams um 50 Prozent geringer. Auch wir haben ähnliche Erfahrungen gemacht: Ein eingeschweißtes Team und die Möglichkeit, remote zu arbeiten, verhindern die Abwanderung von guten Mitarbeitern. Gerade weil Umzüge in andere Städte (z. B. als Resultat partnerschaftlicher Lebensplanung) nicht zwangsläufig zu Jobwechseln führen.
Glücklichere Kollegen
Laut einer Studie von TINYpulse sind Remote-Arbeiter zufriedener und motivierter im Job. Ohne anonyme Mitarbeiterbefragungen ist eine genaue Evaluation zwar schwierig, aber die Bewertungen auf Kununu geben einen guten Anhaltspunkt. Für einen Remote-Chef ist es eine Herausforderung, die Stimmung im Team genau zu verfolgen. Hier hilft eine jederzeit “offene Tür”. Im digitalen Zeitalter heißt das, dass meine Mitarbeiter mich jederzeit per Slack erreichen und über Probleme aller Art reden können. Für mich als Chef ist es außerdem wichtig, mich aktiv an Slack-Diskussionen im Team zu beteiligen. Natürlich gibt es dazu auch regelmäßige Gespräche Face-to-Face.
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Gesündere Kollegen und weniger krankheitsbedingte Fehltage
Die Zahlen zu psychisch bedingten Fehltagen im Job steigen seit Jahren: 18 Prozent der Krankheitstage sind laut TK-Gesundheitsreport mittlerweile psychischer Natur, gerade junge Menschen sind gefährdet. Auch wenn immer wieder über höhere Belastungen im Homeoffice berichtet wird, sehen wir ein hohes Maß an Selbstbestimmung (Zeit und Ort der Arbeit) als den Königsweg.
Unserer Erfahrung nach führt diese Selbstbestimmung zu mehr Wohlbefinden und dementsprechend auch zu weniger Krankheitstagen. Bei flexiblen Arbeitszeiten kann ich mich bei morgendlichen Kopfschmerzen einfach nochmal rumdrehen und eventuell später anfangen zu arbeiten, anstatt mich Punkt 9 Uhr krank zu schreiben.
Begehrte Fachkräfte anziehen
Eine Organisation ist immer nur so gut wie ihre Mitarbeiter. Im Dienstleistungssektor sind meine Mitarbeiter mein Kapital und Schlüsselfaktor im Wettbewerb. Der Fachkräftemangel ist keine neblige Zukunftsprognose, sondern bereits Realität in fast allen Branchen.
Durch das ortsunabhängige Arbeiten haben wir einen deutlich größeren Talentpool, aus dem wir schöpfen können. Attraktive Arbeitsbedingungen stärken außerdem die eigene Arbeitgebermarke. Und damit meine ich nicht nur einen hippen Kicker und kostenlose Mate – ohne dahinterliegende Kultur ist das alles nur Schall und Rauch.
Konzentriertes Arbeiten
Remote hat den Vorteil, dass ich mir aktiv meine Ruhepausen für konzentriertes Arbeiten suchen kann. Ich persönlich bin im Großraumbüro immer mitten im Geschehen und lasse mich schnell von Dingen ablenken. Das ist hin und wieder auch in Ordnung.
Allerdings kann ich in unserem kleineren Berliner Büro wesentlich konzentrierter arbeiten als an unserem Hauptstandort Köln, wo ich von Meeting zu Meeting rotiere, zur Seite genommen werde oder selbst in irgendwelche Prozesse reingrätsche. Am Abend merke ich, wie ausgelaugt ich nach so einem Arbeitstag bin.
Neben den Vorteilen gibt es natürlich auch eine Menge Herausforderungen für uns als Remote-Team. Gerade wenn Remote-Teams schnell wachsen, wie wir es im letzten Jahr taten. Innerhalb von 12 Monaten haben wir uns personell auf über 25 Mitarbeiter verdoppelt. Das hat gerade die internen Prozesse stark durcheinandergewirbelt. Auf der anderen Seite wurden fällige Baustellen schonungslos offengelegt.
Kommen wir wieder zum Hauptthema: Führung. Natürlich ist Führung eine echte Herausforderung in Remote-Teams, da sie häufig aus der Ferne erfolgt. Nun zur entscheidenden Frage: Wie führe ich meine Mitarbeiter, wenn wir uns nicht im gleichen Büro, in der gleichen Stadt oder nicht mal in der gleichen Zeitzone befinden?
Auch bei Raidboxes arbeiten einige Teammitglieder ortsunabhängig. Welche Vorteile und Herausforderung die Remote Arbeit mit sich bringt, kannst du in unserem Artikel zu diesem Thema nachlesen.
Remote Leadership im 21. Jahrhundert
Top-Down war gestern! Genauer gesagt stammt das Prinzip der starren Hierarchien aus dem Zeitalter der Industrialisierung. Es würde wohl niemand auf die Idee kommen, dass die Herausforderungen einer Eisengießerei im 18. Jahrhundert mit denen eines mittelständischen Unternehmens zu Beginn des 21. Jahrhundert zu vergleichen sind. Dennoch wird die Großzahl an Unternehmen heutzutage immer noch streng hierarchisch organisiert.
Ein strenger Vorgabenkatalog, minutiös vorgegebene Arbeitsanweisungen und enge Kontrollen – das alles sind Instrumente der alten Arbeitswelt. Mit ihnen kann man die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts einfach nicht mehr bewältigen. Denn die Realität sieht so aus: Wir arbeiten in agilen Projektgruppen, beantworten Nachrichten digital, springen von einer zur nächsten Aufgabe, skypen mit Kunden und bilden uns nebenbei weiter. Die großen Aufgaben, die uns die Digitalisierung stellt, sind nur durch Kooperation und Kreativität zu bewerkstelligen.
Die optimale Vorbereitung meiner Mitarbeiter auf diese modernen Arbeitsmethoden begreife ich als Digital Leadership oder Remote Leadership. Damit stehe ich nicht alleine: Gerade junge Unternehmen hinterfragen zunehmend klassische Unternehmensstrukturen und entwickeln neue Arbeitsmodelle – z. B. Holacracy, Soziokratie oder eben auch Remote.
Dabei möchte ich Digital Leadership und Remote Leadership gar nicht voneinander trennen, denn sie gehören zwingend zusammen: Remote ist längst Realität im Digitalen. Jedes Mal, wenn ich eine digitale Nachricht verschicke, telefoniere oder sonstige Kommunikationstools nutze, arbeite ich remote. Selbst die hartnäckigsten Verfechter von Präsenzarbeit können nicht abstreiten, dass ein Unternehmen mit verschiedenen Standorten remote arbeiten muss, um agil zu bleiben.
Die 8 Säulen von Digital Leadership
Was zeichnet also Remote Leadership aus? Meiner Meinung nach kommt es auf die folgenden 8 Dinge an:
- Weniger Kontrolle
- Mehr Vertrauen
- Verantwortung abgeben statt Delegieren
- Empowerment
- Intrinsische Motivation
- Verhindern von Silodenken
- Team-Events
- Die richtigen Tools
1. Weniger Kontrolle
Command-and-Control hat ausgedient. Chefs müssen sich davon verabschieden, alle Tätigkeiten ihrer Mitarbeiter auf Schritt und Tritt kontrollieren zu können. Studien, wie die des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen, dass die Produktivität unter ständiger Kontrolle deutlich sinkt.
Um ehrlich zu sein, musste auch ich mich umstellen, da ich von Natur aus gerne alle Fäden in der Hand behalte. Hier hilft mir die räumliche Distanz der Remote-Arbeit, mich auch aus dem Operativen rauszuhalten. Das Gefühl “Ich glaube, mir gleitet alles aus den Händen” musste ich ersetzen durch “Die schaukeln das Ding schon ohne mich”.
Weniger Kontrolle hat für mich außerdem den Vorteil, mich mit den wesentlichen Aufgaben als Chef und Unternehmer zu beschäftigen. Digital Leadership umfasst für mich auch, zukunftsweisende unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Ich muss den Markt im Blick behalten, neue Technologien auf dem Schirm haben und ggf. unser Leistungsportfolio anpassen. Sprich: Mehr am Unternehmen als im Unternehmen arbeiten.
Gerade in der Wachstumsphase musste ich mich ganz bewusst aus dem Operativen zurückziehen, um stattdessen neue Strukturen aufzubauen. Einige Aufgabenbereiche konnte ich komplett abgeben, sodass ich nur noch in kritischen Situationen einbezogen werde.
2. Mehr Vertrauen
Weniger Kontrolle bedeutet automatisch mehr Vertrauen. Und ohne Vertrauen funktioniert gar nichts. Keine Gesellschaft, keine Familie und eben auch kein Unternehmen. Vertrauen ist einer der wichtigsten Faktoren für Leistung und erfolgreiche Zusammenarbeit im Team. Das zeigen Studien wie die der Universität Münster über Vertrauen in virtuellen Teams.
„Der Kontakt von Angesicht zu Angesicht, der virtuellen Teams fehlt, kann durch erhöhtes Vertrauen wettgemacht werden“ Guido Hertel, Professor für Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Uni Münster
Ich muss darauf vertrauen, dass meine Mitarbeiter eine Aufgabe angemessen bearbeiten. Im Endeffekt ist es mir egal, ob der Kollege auf dem Weg zum Ziel zwischendurch spazieren geht oder seinen Goldfisch füttert. Das Ergebnis zählt. Die Erfahrung zeigt, dass die besten Ideen ohnehin nicht am Schreibtisch, unter hohem Druck oder in Stresssituationen kommen, sondern wenn wir den Kopf frei zum kreativen Denken haben. Diese Räume entstehen nur in einem Vertrauensverhältnis.
Und wie im Fußball gilt: Das Team verliert und gewinnt zusammen. Wenn der Torhüter ein schlechtes Spiel macht und ihm in letzter Sekunde ein haltbarer Flatterball ist Netzt geht, dann steht das Team zusammen. Das heißt nicht, dass man auf eine Fehleranalyse verzichtet. So sehe ich das auch im Unternehmenskontext. Es muss klar sein, dass man zusammen an etwas arbeitet und dass jeder einzelne seinen Beitrag dazu leistet, aber auch Fehler machen darf.
3. Verantwortung abgeben statt Delegieren
Überall hört man, der Chef müsse Aufgaben an seine Mitarbeiter delegieren. Das alleine reicht aber nicht aus. Denn Delegieren führt meist dazu, dass Mitarbeiter eine Aufgabe bearbeiten und anschließend an den Chef zurückgeben. Es folgt Feedback, erneute Bearbeitung und schon steckt man in einer scheinbar endlosen Feedbackschleife, die unnötig viel Ressourcen und Nerven verschlingt.
Die beste Lösung ist daher eine vollständige Verantwortungsübergabe an den Mitarbeiter. Die führt zu agileren Entscheidungen, ohne dass die Ergebnisse leiden müssen. Außerdem können sich Mitarbeiter untereinander häufig viel besser Feedback geben, als wenn der Chef ständig eingebunden wird. Ihr Skillset ist im Zweifel viel genauer auf die Aufgabe zugeschnitten.
4. Empowerment
Empowerment meint das Bereitstellen der optimalen Rahmenbedingungen, damit die eigenen Mitarbeiter ihr volles Potenzial ausschöpfen können. Ein High-Performer auf falschem Posten, ein mit Aufgaben überforderter Azubi oder schlichtweg fehlende technische Infrastruktur können wahre Bremsklötze bei der Potenzialentfaltung sein.
Aber nicht nur die Technik ist wichtig: Mitarbeiter brauchen neben Tools vor allem Freiraum und eine langfristige Perspektive. Um Mitarbeiter zu fördern, muss man ihren Wirkungsradius vergrößern. Größere Entscheidungsspielräume können wahre Motivationsschübe auslösen. So hat ein bekanntes Hotel seinen Reinigungskräften erlaubt, Reklamationen bis 1000 Euro eigenhändig abzuwickeln, ohne den Vorgesetzten zu konsultieren. Mit dem Ergebnis einer deutlich höheren Arbeitsmotivation und gleichzeitig reduzierter Bürokratie.
Die Aufgabe eines Digital Leaders von heute ist die Förderung der eigenen Mitarbeiter zu einer fachlich besseren Version ihrer selbst. Hier gibt es keinen Platz für Eitelkeiten, Ellenbogenmentalität und Konkurrenzdenken. Es zahlt sich doppelt und dreifach aus, wenn die Expertise aus dem Unternehmen heraus wächst und Wissensaustausch untereinander aktiv stattfindet.
5. Intrinsische Motivation
Was motiviert einen Mitarbeiter dauerhaft? Ein hohes Gehalt, großzügige Boni oder ein Dienstwagen? Weder noch – Studien zeigen, dass der positive Effekt einer Gehaltserhöhung nur kurz anhält und bei 60.000 Euro jährlich sein Maximum erreicht.
Auch meine Erfahrung zeigt: Intrinsisch motivieren hilft. Intrinsisch meint “aus eigenem Anreiz heraus”. Das Gegenteil ist die extrinsische Motivation, welche u. a. die oben genannten Motivatoren umfasst: Geld, Provision, Dienstwagen.
Weil extrinsische Motivationseffekte nach kurzer Zeit wieder verpuffen, entsteht nur aus intrinsischer Motivation proaktive Wertschöpfung. Wer nur Dienst nach Vorschrift macht, wird im Unternehmen nichts reißen und von Innovationen weit entfernt bleiben.
Was hilft ganz konkret? Wertschätzung der Arbeit, Freiräume, eigene Entscheidungen zu treffen, Transparenz, eine offene Fehlerkultur und das Feiern von Erfolgen.
6. Verhindern von Silodenken
Eine große Gefahr für etablierte Unternehmen ist meiner Meinung nach der fehlende Wissensaustausch aufgrund von Abteilungssilos. Diese klar abgetrennten und streng hierarchisch strukturierten Abteilungen erschweren die Kooperation und führen im schlimmsten Falle zu einem “Staat-im-Staat”. Abteilungen werden so groß, dass sie eigene Interessen neben den Interessen des Unternehmens verfolgen.
Effektive Maßnahmen, um Silos vorzubeugen, sind agile Projektarbeit und Remote-Teams. Der Vorteil von Agilität und Remote-Work, das sehe ich in meiner Agentur, ist die stets neue Zusammensetzung von interdisziplinären Projekt-Teams. Es gibt keine Abteilungen mit einem Schild an der Tür, das sagt: PR, Design oder IT. Wer diese räumliche Trennung erst gar nicht vornimmt und stattdessen auf Remote setzt, ist von Anfang an klar im Vorteil. Am Anfang bedeutet der Aufbau der agilen Projekt-Teams sicherlich Mehraufwand, damit das Vorhaben nicht im Chaos endet. Langfristig profitieren Unternehmen aber von dieser Agilität.
7. Team-Events
Für Remote-Teams, die über den ganzen Globus verteilt sind, kann es schon mal schwierig werden, alle Mitarbeiter an einem Ort zusammenzubringen. Wie gut, dass unsere Mitarbeiter alle in Deutschland wohnen und somit einer gemeinsamen Weihnachtsfeier und weiteren Events nichts im Wege steht.
Zusätzlich packen wir seit drei Jahren einmal im Jahr unsere Koffer und fliegen für eine Woche in sonnigere Gefilde (Mallorca, Lissabon, Kreta), um dort gemeinsam zu arbeiten. Das stärkt den Zusammenhalt ungemein und schafft Vertrauen im Team. Im Oktober 2019 fand unsere dritte Workation (Zusammensetzung aus engl. work und vacation) auf Kreta statt. Für viele Mitarbeiter unseres stark wachsenden Teams war es das erste physische Aufeinandertreffen, da man vorher nur auf digitalen Kanälen kommunizierte.
Regelmäßige Treffen und Events sehe ich als entscheidend für den Erfolg eines Remote-Unternehmens. Wir sind alle soziale Wesen, wollen die Menschen näher kennenlernen, mit denen wir tagtäglich zusammenarbeiten. Als “Fremde” ist es unglaublich schwer, einen gemeinsamen Teamspirit zu schaffen. Wenn man schon mal zusammen gekocht, gegessen und gelacht hat, fällt das viel leichter.
8. Die richtigen Tools
Viele denken, Tools seien das Wichtigste in Remote-Teams. Richtig ist: Tools sind definitiv unerlässlich in der digitalen Arbeitswelt. Dennoch müssen Tools immer in sinnvolle Arbeitsabläufe integriert werden. Was bringt das beste Projektmanagement-Tool auf dem Markt, wenn die zahlreichen Funktionen ohnehin nicht benötigt werden oder es Mitarbeiter gnadenlos überfordert? Schlimmstenfalls nutzen einzelne Mitarbeiter verschiedene Lösungen, was keinem weiterhilft. Und vergiss niemals:
A fool with a tool is still a fool.
Die E-Mail hat zwar noch nicht ausgedient, aber in agilen, projektbezogenen Teams werden sie zunehmend unbrauchbarer. Eine E-Mail ist wenig geeignet, wenn fünf Personen miteinander kommunizieren und zusätzlich noch zwölf im CC sind. Unlängst verbringen Führungskräfte jeden Tag Stunden mit der Abarbeitung von für sie wenig relevanten Mails. Hier sind Kollaborationstools ein wahrer Segen, da sie Kommunikation deutlich besser strukturieren oder direkt auf dem User Interface kommentiert werden kann.
Der Vorteil von solchen Kommunikationstools ist die unmittelbare Nutzung der Intelligenz des Schwarms. Die Hürde, eine Frage in den Channel zu stellen, ist viel niedriger als ins Nachbarbüro seines Vorgesetzten zu spazieren und um Rat zu fragen. Somit habe ich auch als Remote-Chef immer ein Auge auf die Bedürfnisse meiner Kollegen und wir bleiben gleichzeitig agil.
Remote-Führung ist möglich!
Es mag für die etablierten Chefs des letzten Jahrhunderts aberwitzig klingen: Aber Führung aus der Ferne ist möglich, sie funktioniert gut und manchmal sogar besser als wenn man seinen Mitarbeitern durch Überpräsenz ständig im Nacken sitzt.
Remote ist längst gelebte Realität, die wir als Teil des digitalen Zeitalters anerkennen müssen. Deshalb würde ich jedem Unternehmen raten, die Strukturen für Remote-Work bereits vorzubereiten. Und sei es aus Employer-Branding-Gründen oder um verdiente Mitarbeiter zu halten.
Eine turnusmäßige Präsenzzeit als Chef sehe ich dennoch als großen Vorteil. Hin und wieder ist es nötig, die Schwingungen im Team am eigenen Leib zu spüren. Als Full-Remote-Team bleiben dann lediglich die gemeinsamen Events und Treffen.
Einen Haken gibt es an der Remote Leadership aber doch, der nur durch Selbstdisziplin eliminiert werden kann. Ich bin durch mein Digitales Nomadentum praktisch immer erreichbar, wenn ich nicht gerade in einem Funkloch hänge. Die Versuchung ist häufig groß, mal eben noch schnell vor dem Schlafengehen E-Mails zu checken oder dieses oder jenes To-Do für morgen zu erledigen.
Hier muss ich für mich klare Grenzen definieren. Das fällt nicht immer leicht, aber mit ein paar Hacks funktioniert das auch: Notifications aus, fest definierte Zeiten, wann ich in meine E-Mails gucke, Tagesplanung mit Sport, Meditation und Co. Die Notwendigkeit der Disziplinierung nehme ich sehr gerne in Kauf, wenn ich auf der anderen Seite mit großer Flexibilität und Freiheit belohnt werde. Meine Kollegen und ich möchten es nicht mehr missen!
Hallo Julian ,
die Veränderungen der Arbeitswelt in den letzten Jahren zeigen, wie sich Arbeits- und Privatleben vermutlich in Zukunft weiterentwickeln werden. Immer mehr werden sich die Grenzen zwischen beiden Bereichen auflösen und sich hin zu einem hybriden Arbeits- und Lebensverständnis entwickeln. Vielen Dank für den informativen Artikel.
Sehr eindrucksvoll und spannend, dein Bericht. Ich arbeite seit etwas mehr als einem Jahr mit einem Remote Team. Die größte Hürde war dabei ich selbst. Mittlerweile haben sich die meisten Dinge aber gut eingeschliffen und mein ursprüngliches Vertrauensproblem ist nur noch minimal vorhanden 😉 VG Jasmina
Ganz toller Artikel. Auch wenn die Situation um COVID-19 das Thema „Remote“ auf die Karte von deutschen Firmen gebracht hat, ist das Verständnis, auch wegen den erwähnten Nachteilen, leider noch nicht da. Denn die Vorteile werden oft gar nicht in Betracht gezogen.
Ich habe 2 Firmen aus dem Freundeskreis erlebt, die zukünftig vollständig auf Remote switchen möchten. Viel mehr Firmen aus dem Bekanntenkreis und Arbeitsumfeld sehen darin nach einigen Wochen Testphase durch Corona keine Zukunft, weil oft „das Vertrauen in die Mitarbeiter fehlt“… Was soll man dazu sagen? 🙂
Ich arbeite gerne Remote und kenne manche Kollegen ausschließlich vom Laptop-Monitor.
Viele Grüße
Hey Julian, sehr schön beschrieben. Ich arbeite schon seit Jahren mit virtuellen Teams und kann genau das nur bestätigen. Allerdings habe ich auch immer wieder Mitarbeiter von virtuellen Teams im Coaching, denen es an Strukturen fehlt, den Tag mit hoher Performance zu nutzen. Selbstorganisation ist hier ein sehr großes Stichwort.
Genauso aber auch, wie die Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit. Also zu verhindern, dass das Gefühl „ständig zu arbeiten“ einen auffrisst.
Danke für den tollen Beitrag und ich hoffe, er hilft einige andere zu diesem Schritt zu animieren.
Benjamin Michels
Sehr geil… was für Kollaborationstools nutzt ihr den konkret?
Hallo Elias,
wir nutzen einige Tools bei Friendventure, um uns das Leben leichter zu machen. Am besten schaust du mal hier rein: https://www.friendventure.de/blog/new-work/friendventure-toolbox/ Hier haben wir alle Remote-Tools beschrieben.
LG Gerrit